Belegexemplar

Bronze, 1998, Länge 170 cm

„Ich sah aus den besonders interessanten und imposanten Beschreibungen, die in dem Buch Ihren Skulpturen beigefügt sind, dass praktisch all die Autoren Ihr gesamtes Werk gut kannten, und dies gibt auch dem Inhalt der Beschreibungen Tiefe und Bedeutung. 

Ich fühle, dass auch ich Ihre Skulpturen aus der Nähe und von allen Seiten beschauen möchte, bevor ich irgendeine wirkliche Beschreibung formulieren könnte. Das gilt auch für die Skulptur ‚Belegexemplar‘. Beim ersten Anblick dieses aufgespießten Menschen mit der relativ riesigen Stecknadel, wobei nur der kopflose Rumpf des Körpers in Erscheinung tritt (was ich übrigens bei mehreren Ihrer abgebildeten Skulpturen gesehen habe), hatte ich das Gefühl, als hätte diese erschreckende Skulptur eigentlich nichts mit Gegenwart zu tun, sondern dass es sich um ein Museumsstück in der weiten Zukunft handeln kann, nach Hunderttausenden von Jahren oder mehr, wo die dann bestehenden Lebewesen den kopflosen Körper des ‚damaligen‘ prähistorischen Menschen ausstellen. Genau wie wir heute ausgestorbene Lebewesen und ausgefallene Käfer und Schmetterlinge dem Publikum vorführen.

Aber dann kam ich doch zu der Erkenntnis, dass hier mehr dahintersteckt und dass es sich hier um einen Protest handelt gegen Tendenzen unserer heutigen Gesellschaft, der gegenseitigen Befremdung, der Einstellung, alle und jeden nach Kategorien zu klassifizieren, ohne Interesse daran, wer der Mensch selbst ist. Es bedeutet die Herabsetzung
des Menschen als ein ,Exemplar‘ ohne Kopf, ohne Persönlichkeit und ohne Bedeutung. Die gewaltige große, überdimensionale Stecknadel bestärkt das Gefühl der deprimierenden Grausamkeit, indem die Nadel durch den Körper hineingesteckt wird, ohne das geringste Gefühl für das Leiden und die Verletzung der Menschenwürde, die damit verbunden sind. Und all das vielleicht noch im Namen des Fortschritts und der Wissenschaft!

In diesem liegenden und unbeweglichen Körper kann man einen Aufschrei sehen und hören und einen Appell, der uns alle aufrütteln sollte, damit wir uns klarmachen, was wir uns selber antun.“

Gabriel Bach
ehemaliger Richter am Obergericht Israels
(Justice of the Supreme Court)
Jerusalem