„Die Polit-Hure“ – Höhepunkt im Werk Erich Sauers

Bronze, 2008, höhe 304 cm. Gedanken beim Betrachten der Bronzeplastik im Skulpturenhof des Künstlers

Es ist wie ein Paukenschlag: Wer Erich Sauer und sein Werk kennt, wusste, dass es kommen musste, denn zuviel hatte sich gesellschaftlich in den letzten Jahren aufgetürmt, was den Künstler aus Frankenthal herausforderte, in seinem aufrechten Gang den Widerspruch keimen, wachsen, reifen ließ – „Die Polit-Hure“ also als Konsequenz, als mutige Mahnung vor menschlichem Mittelmaß eines Standes, der in unserer Mediengesellschaft immer wieder, man könnte fast behaupten täglich ins negative Gerede kommt. Was man als aufgeklärter Bürger noch nachsehen könnte, gäbe es da nicht den offensichtlichen Schaden, den alle zu spüren bekommen und unser aller Leben weniger gut sein lässt.

Mit der Polit-Hure ist sich der Bronzebildhauer in seiner Formensprache treu geblieben. Er führt uns anhand eines statuarischen Augenblicks eine Story vor mir seiner Reihe prägnanter narrativer Elemente: Ein Frauen-Torso mit einem zu öffnenden/schließenden Art Kasten als Oberkörper, darauf eine Furcht erregende und mit spitzen Krallen bestückte, raffende Hand, die einen Taktstock im Anschlag hält. Davor einen Rahmen (Tür oder Tor), in den eine zweite Gestalt – wieder ein Sauer-typischer Torso – genau hineinpassen würde, den Rahmen wahrscheinlich aber schon passiert hat. (Löwen müssen so im Zirkus durch den Feuerring springen.)
In den Rahmen hinein reicht ein Knie des Taktstock schwingenden Torsos.

Das Narrative im Kontext der Darstellung: Zwei menschliche Körper, der eine dominant, „dirigierend“ (den Weg weisend), der andere erleidend, bedrängt, trotzdem aufrecht im passiven Widerstand verharrend. Das besagte Knie: es zielt in Richtung Unterleib/Verletzlichkeit des Aufrechten. Der Kasten – er ist leer, noch leer, nichts kann man darauf abrufen, auch keine Ideen. Man kann/muss ihn füllen, wenn man eine solch krallenbesetzte/raffgierige/gefährliche Hand hat und die Macht (Taktstock) dazu, zu dirigieren/befehlen. Und gerade hier liegt der Widerspruch, die dramatische Aussage des Geschehens: Es geht nicht in ehrlicher Absicht und mit Herzblut um das Gedeihen des Gemeinwohls, nein, es geht nur um den eigenen Vorteil, ihn mit allen Mitteln beim Individuum durchzusetzen – eine überaus gefährliche Mischung und Vermischung von Zielen in einer Demokratie.

Der Titel der Polit-Hure, der überlebensgroßen, dreiteiligen Bronzeplastik, nimmt das uralte Hetären-Motiv aus Kunst und Leben wieder auf, nur ist Erich Sauers Ansprache härter geworden, unerbittlicher sein Anspruch. Er hat sich mit seinen Werken immer gesellschaftlich eingemischt – „Seveso“, „Der Politiker und sein Gewissen“, „Der leise Tod“…-, in den letzten Jahren ist er, jedoch noch kompromissloser geworden, wenn es hieß, Missstände klar zu benennen und dem Mainstream der Beliebigkeit zu entreißen. Der Moralist Erich Sauer: Ihr sollt nachher nicht sagen, ihr habt es nicht gewusst.

Die Polit-Hure von Erich Sauer: Sie ist nicht nur ein Meilenstein in seinem reichen Werk, es ist ein formvollendetes, durchkomponiertes Alterswerk, Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens. Ihren endgültigen Platz kann diese Plastik noch nicht gefunden haben, denn auf dem beengten Anwesen des Künstlers schreit sie geradezu nach dem öffentlichen Raum.

Ein Gang und Verweilen in Erich Sauers Skulpturenhof und Werkstatt im Spätherbst: Hier gelten noch immer die Maßstäbe des Kanonischen, vor denen sich das Neue nicht nur bewähren, sondern auch messen lassen muss. Unsere gängige Sicht in Kunst und Literatur, der zufolge jedes Neue bereits in sich einen Wert hat – es muss nur sensationslüstern genug aufgeladen sein -, hat vor diesen Bronzearbeiten keinen Bestand. Der unmissverständliche Formenkanon und die mahnenden Inhalte des Frankenthaler Künstlers verlangen immer wieder Substanz und Qualität und nicht Flitter, der uns gegenwärtig eh rasant durch die Finger rennt…Werte, die die Zeiten überdauert haben und nicht Nichtigkeiten – an ihnen sollte man die Gegenwart messen, auf ihnen und mit ihnen sollte man die Zukunft bauen. Nur nachdenklich gestimmt, kann man diesen Ort verlassen.

Franz Th. Schleich

Frankenthal, 9. November 2008