Klonen

Bronze, 1998, 40 cm

Neue technische Möglichkeiten, besonders im bio-medizinischen Bereich, wecken sowohl große Hoffnungen als auch große Begehrlichkeiten. Die Hoffnung auf Heilung und Linderung von Krankheiten oder Leid ernstzunehmen, ist politischer und gesellschaftlicher Auftrag. Aber auch Begehrlichkeiten wie Forscherprestige und Gewinnstreben sind nicht per se unethisch, sondern von zentraler Bedeutung für die wissenschaftliche und ökonomische Verfassung eines Landes. Zugleich machen Hoffnung und Begehrlichkeiten nicht an allgemein akzeptierten ethischen Grenzen halt. Hier müssen wir immer wieder mit allem Nachdruck die Frage nach der Würde des Menschen stellen. So verstehe ich einen Gutteil meiner politischen Arbeit, und so verstehe ich Erich Sauers
Plastik „Klonen“. Mehr noch: so verstehe ich im Grunde Erich Sauers bildnerisches Werk. Es fragt immer wieder nach der Stellung des Menschen in der Welt und nach der konstitutiven Spannung zwischen Selbstbestimmung und Zwang der Verhältnisse.

„Klonen“ drückt für mich aus, dass sich der Mensch in seinem Wunsch nach Selbstbestimmung neue Zwänge schafft: indem er der Faszination der  Verdoppelung erliegt, sei es, um sich selbst zu reproduzieren, sei es, um sich ein „Ersatzteillager“ zu schaffen, sucht er sein Heil in der Technik und schickt sich an, „Menschen nach seinem Bilde“ zu formen. Dabei riegelt er sich ein – so verstehe ich den Bronzeriegel. Sauers Großplastiken sind fast alle kopflos, und viele von ihnen gehen von dem für ihn charakteristischen stilisierten aufrechten Torso aus. In „Klonen“ radikalisiert Sauer seinen Grundtyp: drei „Klone“ stehen einem „Prototyp“ gegenüber, und zunächst mag der Betrachter denken: Die vier unterscheiden sich nicht. Und doch unterscheiden sie sich, zum einen in den Variationen der Oberfläche der aus dem Wachs gearbeiteten Formen und zum anderen durch ihre Stellung im Raum: das absolut Identische gibt es nicht.

Ein menschlicher Klon wäre nicht identische Kopie dessen, von dem er seinen Ausgang nimmt, nicht einmal biologisch, sagen uns heute die Naturwissenschaftler; vor allem aber nicht von seiner Persönlichkeit, weil er von anderen Menschen in einer anderen Zeit geprägt würde. Der Wahn der  Verdoppelung kann getrost „kopflos“ genannt werden, zusammengehalten von einer fixen, aber gefährlichen Idee. Der Wunsch des Menschen, Menschen nach seinem Bilde zu schaffen, ist totalitär: er versagt anderen ihre Berufung zur Freiheit. Sie sollen nicht ausbrechen können aus dem Gefängnis seiner Idee – auch das symbolisiert für mich der Riegel. Erich Sauer steht in der Tradition stilisierender Gegenständlichkeit. Dabei formt auch er im übertragenen Sinn „Menschen“ nach seinem Bilde. Aber er weiß, dass er das Ergebnis nicht vollständig kontrollieren kann. Das Material entwickelt ein Eigenleben. Und Sauer entlässt seine Bronze-Klone in die Freiheit der Betrachter und ihrer Interpretationen. Der Imperativ der menschlichen Freiheit und die erhöhte Aufmerksamkeit
für die Spannung zwischen ihren notwendigen und ihren systemischen Grenzen verbinden die Kunst und die Politik; sie sollten es zumindest.
 

Prof. Dr. Maria Böhmer
Mitglied der CDU-Fraktion des Deutschen Bundestages
Berlin